Joan Dunayer, Gleichberechtigung für Tiere
Ich möchte Sie herzlichst begrüssen. Ich bin Joan Dunayer
aus den USA, Autorin des Buches Animal Equality. Es freut mich sehr
hier zu sein. Vielen Dank an den Martin, die Vegane Gesellschaft,
und den Verein gegen Tierfabriken für ihre Einladung. Ich gratuliere
Ihnen zur ersten österreichischen Tierrechts-Konferenz.
Bei der Niederschrift von Animal Equality stellte ein Freund den
Titel des Buches in Frage. Wollte ich wirklich sagen daß alle
Tiere gleichberechtigt sein sollen? Ja, das wollte ich. Genau wie
bei der Gleichberechtigung von Menschen bedeutet die Gleichberechtigung
für Tiere nicht, dass alle Tiere inklusive der Menschen gleiche
Fähigkeiten haben. Gemeint ist, daß alle Tiere ein gleiches
Recht auf moralische Berücksichtigung und gesetzlichen Schutz
haben. Und mit “alle Tiere” meine ich alle empfindungsfähigen
leidensfähigen Wesen, jede fühlende Kreatur.
Es ist angebracht und gerecht jede Kreatur die ein Nervensystem
hat als empfindungsfähig zu betrachten. Angebracht aufgrund
der gemeinsamen Abstammung und der physiologischen Ähnlichkeiten
aller Nervensysteme. Angebracht weil Kreaturen mit einem Nervensystem
agieren als ob sie fühlen. Gerecht weil im Zweifelsfall sicherheitshalber
für die moralische Berücksichtigung zu entscheiden ist.
Denn alle Wesen, die fühlen können, bedürfen des
Schutzes, alle Wesen, die fühlen können, haben Anspruch
auf Rechte. Das alleinige Kriterium für Rechte sollte die Empfindungsfähigkeit
sein.
Mit dieser Feststellung stimmen einige Tierrechts-Theoretiker
und Theoretikerinnen nicht überein. Anwalt Steven Wise argumentiert
in seinem neuen Buch Drawing the Line: Science and the Case for
Animal Rights, dass vor allem jenen Tieren—und ich zitiere—“gesetzliche
Rechte zustehen, die gewisse höhere geistige Fähigkeiten
haben.” Nach Wise qualifizieren sich nichtmenschliche Tiere
nur dann für Grundrechte, wenn mindestens eine Angehörige
bzw. ein Angehöriger derselben Tierart ihre bzw. seine Fähigkeit
für Selbstbewußtsein in Situationen, die von professionellen
Forscherinnen und Forschern, sowie Laborexperimentorinnen und Laborexperimentatoren,
ersonnen oder zumindest beobachtet worden sind, gezeigt hat.
Zum Beispiel betrachtet Wise Spiegeltests zur Selbsterkennung
als Indikatoren dafür ob ein Tier selbstbewußt ist. Im
üblichen Spiegel-Selbsterkennungs-Test plaziert der Forscher
eine rote Markierung auf der Stirn eines betäubten Tieres.
Wenn, nach Erwachen, das Tier in einen Spiegel schaut und die Markierung
berührt, wird Selbsterkennung angenommen, denn das Spiegelbild
wurde als das eigene identifiziert.
Wises Ansatz ist mit praktischen und theoretischen Problemen belastet.
Erstens, macht es sein Ansatz den meisten Tieren unmöglich
jemals gesetzliche Rechte zu erhalten. Er verlangt den Nachweis
(seine Wortwahl) von Selbstbewußtsein, bevor Rechte zuerkannt
werden. In Anbetracht der Tatsache daß es Millionen von Tierarten
gibt, würde das Forschung ohne Ende notwendig machen. Und tatsächlich
fordert Wise in seinem Buch wiederholt mehr Forschungen auf diesem
Gebiet. Er bezieht sich des öfteren auf Experimente mit Tieren
die in Laboratorien gehalten werden.
Auf der Grundlage solcher Forschungen klassifiziert Wise die Tiere
nach ihrem angeblichen Autonomie-Grad. Die Zahl Eins bezeichnet
den höchsten Autonomie-Grad und ist den Menschen vorbehalten.
Um sich für grundlegende gesetzliche Rechte zu qualifizieren,
muß ein Tier einen Autonomie-Grad von Null-Komma-Sieben oder
höher erreichen.
Nach Wise, qualifizieren sich bisher nur sechs Tierarten “eindeutig”
für Rechte: Menschen, Schimpansen, Bonobos, Gorillas, Orang-Utans,
und Flaschennasen-Delphine. Mit weniger Nachdruck verteidigt Wise
auch die Rechte für afrikanische Grau-Papageien und, mit Vorbehalt,
afrikanische Elefanten. Er warnt: wenn einige afrikanische Elefanten
einen Spiegel-Selbsterkennungs-Test nicht bestehen sollten, wird
er den Autonomie-Grad für ihre Spezies auf Null-Komma-Sechs-Acht
oder niedriger senken, und afrikanische Elefanten aus der Kategorie
der Tiere streichen, die sich für Rechte qualifizieren.
“Wir wissen nicht genug” über die “meisten
Tierarten” um zu entscheiden ob sie über ausreichende
Autonomie für grundlegende Rechte verfügen, heißt
es bei Wise. Augenscheinlich haben die “meisten Tierarten”
das Nachsehen bis “wir”—eigentlich er—genug
weiß.
In seinem ersten Buch, Rattling The Cage, lehnt Wise die Vorstellung,
daß Insekten vernünftig denken könnten, völlig
ab. Ich habe ihm gesagt, ich könnte vielerlei Beweis dafür
anführen, daß Honigbienen und andere Insekten vernünftig
denken. Er bat mich um wissenschaftliche Quellen für meine
Aussage.
Der von mir erbrachte Beweis beinhaltete folgendes: Wenn ein Honigbienenvolk
einen neuen Platz für einen Bienenkorb braucht, suchen Späherbienen
nach einer Stelle in geeigneter Umgebung, die trocken und von richtiger
Größe ist. Jede Späherbiene begutachtet mögliche
Stellen und erstattet Bericht, indem sie über der ihr besonders
zusagenden Stelle tanzt. Eine Späherbiene empfiehlt möglicherweise
eine Stelle über mehrere Tage, aber sie inspiziert den von
ihr ausgewählten Ort wiederholt. Sie inspiziert auch von anderen
Bienen empfohlene Stellen. Wenn eine Schwesterbiene einen besseren
Fund als sie gemacht hat, hört sie auf, ihre anfängliche
Wahl zu empfehlen und beginnt über der besseren Stelle zu tanzen.
Mit anderen Worten, die Biene ist fähig ihre Meinung zu ändern
und sich mit anderen Bienen abzustimmen. Am Ende entscheidet das
Bienenvolk einstimmig.
Ein weiterer Beweis: Forscherinnen und Forscher an der Princeton
Universität zeigten einigen gefangen gehaltenen Honigbienen
Futter auf einem Boot in der Mitte eines Sees. Als die Bienen freigelassen
wurden, um in ihren nahegelegenen Bienenkorb zu fliegen, informierten
sie ihre Schwestern über die Futterstelle. Keine Biene flog
zum Futter. Dann brachten die Forscherinnen und Forscher das Futter
an das andere Ufer des Sees. Wieder zeigten sie gefangen gehaltenen
Honigbienen die Futterstelle. Wieder flogen die Bienen zurück
zu ihrem Korb und berichteten ihren Schwestern wo das Futter zu
finden sei. Und was geschah? Diesmal flogen sofort viele andere
Bienen aus. Sie flogen über den See zum Futter. Vor ihrem geistigen
Auge haben Honigbienen eine Karte von ihrer Umgebung. Eine Futterstelle
mitten in einem See macht keinen Sinn. Aber die neue Stelle—auf
dem Land—war plausibel. Honigbienen werten empfangene Informationen
aus und, abhänging von deren Plausibilität, glauben sie
diese oder nicht. Zu seinem, Zitat,“Erstaunen und Entsetzen”
fand Wise diesen Beweis überzeugend. Jetzt gesteht er Honigbienen
die Fähigkeit vernünftig zu denken zu.
Jedoch nach Wise, qualifizieren sich Honigbienen nicht für
Rechte. Warum nicht? Weil sie wirbellose Tiere sind. Wenn sie—wie
wir—Wirbeltiere wären, gäbe er ihnen einen Autonomie-Grad
von Null-Komma-Sieben-Fünf oder Null-Komma-Acht, und sie würden
sich für Rechte qualifizieren. Pech gehabt, Honigbienen.
Ähnlich bei Vögeln. Obwohl Wise meint, dass Alex der
afrikanische Grau-Papagei “für ein Tier mit einem walnußgroßen
Gehirn außerordentliche geistige Fähigkeiten gezeigt
hat,” reiht er afrikanische Grau-Papageien nicht unter den
Tieren ein, denen unbestreitbar Rechte zustehen. Er sagt, sie seien
evolutionär zu weit vom Menschen entfernt. Ihre kognitiven
Fähigkeiten könnten sich getrennt von unseren, entlang
einer anderen Stammeslinie, entwickelt haben. Das heißt, selbst
wenn afrikanische Grau-Papageien die umstrittenen Fähigkeiten
besitzen, sollten diese nicht vollständig anerkannt werden,
wenn der evolutionäre Ursprung dieser Fähigkeiten ein
anderer ist, als der Ursprung der gleichen Fähigkeiten beim
Menschen. Das ist so als sagte man: mein neunzehn-hundert-acht-und-neunziger
Honda Civic ist besser als deiner, weil deiner von einem anderen
Autohaus stammt.
Eine entferntere Verwandschaft mit dem Menschen bedeutet nicht
weniger Intelligenz, selbst wenn wir Intelligenz als menschenähnliche
Intelligenz definieren. Tintenfische zeigen scheinbar mehr menschenähnliche
Intelligenz als Frösche, aber wir sind viel näher mit
den Fröschen verwandt.
Wenn Wise sich herablassend auf das “walnußgroße
Gehirn” eines Papageien bezieht, hat sein eigenes Denken einen
engen Horizont. Menschen rühmen sich ein großes Gehirn
zu haben, aber Elefanten und viele Wale haben größere
und schwerere Gehirne mit mehr Nervenzellen als wir. Durchschnittselefant:
sehr großes Gehirn. Durchschnittsmensch: viel kleineres Gehirn.
Durchschnitts-Jäger: noch kleineres Gehirn. In Bezug auf ihr
Körpergewicht haben viele kleine Vögel und Säuger
ein schwereres Gehirn als wir. Die Gehirne vieler kleiner Wirbeltiere
zeigen ein dichteres Nervengewebe und einen größeren
Vernetzungsgrad der Nervenzellen. Größere Gehirne sind
nicht unbedingt effizienter oder intelligenter als kleinere Gehirne.
Wise meint, je mehr der Verstand eines Nichtmenschen “einfacher”
—oder “nur anders”—als der eines Mensches
zu sein scheint, umso schwächer ist der Anspruch auf Rechte.
Die Gleichsetzung von “anders als die Menschen” mit
“weniger” macht das Wesen des Speziesismus aus. Biologisch
unterscheiden sich Männer von Frauen, und jedes Individuum
unterscheidet sich vom anderen, aber die Unterschiede sind moralisch
irrelevant, denn alle Menschen, vorausgesetzt sie sind empfindungsfähig,
bedürfen und verdienen gleichermaßen moralische Berücksichtigung.
Das Gleiche gilt hinsichtlich Menschen und Nichtmenschen. Die Verschiedenheit
ist bezüglich des Problems von Grundrechten moralisch irrelevant.
Wise begründet das Gewicht, das er der Autonomie beimißt,
damit, daß Richter in Autonomiebegriffen denken. Das tun sie
nicht, es sei denn in einem bestimmten Fall ergibt sich eine Autonomiefrage.
Und selbst dann behandeln Richter empfindungsfähige Menschen
mit offensichtlich wenig Autonomie nicht als Sachen, die keine Rechte
haben. Wie Wise selbst bemerkt, räumen Gerichte Menschen mit
einem minimalen Intelligenzquotienten gleiche Rechte ein. Richter
berücksichtigen das Wohlergehen von Kindern und anderen Menschen,
die keine ausreichende Autonomie besitzen, gleich, um bedeutende
Entscheidungen hinsichtlich ihrer Versorgung zu treffen. In solchen
Fällen, trifft das Gericht oder ein Vormund die Entscheidungen
im besten Interesse der Einzelnen.
Ob Flaschennasen-Delphine autonom sind oder nicht – wenn
sie Rechte haben, müssen Menschen als ihre gesetzlicher Vormund
eingesetzt werden. Delphine können Gerichte nicht darum bitten,
sie aus einem Wassergefängnis oder Laboratorium zu befreien.
Das müssen Menschen tun. In Anbetracht der Tatsache, daß
nichtmenschliche Tiere nicht ihre eigenen Interessen vor Gericht
vertreten oder ihre bevorzugte Lebensweise dem Gericht darlegen
können – welchen Zweck hat es—in moralischer oder
gesetzlicher Hinsicht— zu versuchen ihren Autonomiegrad einzuschätzen?
Wise führt weiter aus, dass er nichtmenschliche Autonomie
nach den Bedingungen menschlicher Intelligenz mißt, weil “das
Gesetz nichtmenschliche Tiere nach menschlichen Maßstäben
beurteilt”. Das Gesetz zieht keine nichtmenschlichen Fähigkeiten
in Betracht. Es berücksichtigt nur den finanziellen und, in
einem geringeren Ausmaß, den emotionellen Wert, den Nichtmenschen
für Menschen haben. Es betrachtet Nichtmenschen als Eigentum.
Und ist es nicht das Ziel, die Art und Weise in der das Gesetz nichtmenschliche
Tiere behandelt, zu ändern?
Es gelingt Wise nicht irgendeinen überzeugenden, logisch
zwingenden Grund für seine äußerst restriktiven
Autonomie-Kriterien anzuführen. Auch erbringt er keinerlei
Beweisdafür, daß die radikale Veränderung,die für
die nichtmenschliche Emanzipation notwendig ist, eher durch Präzedenzfälle
vor Gericht als durch eine veränderte Gesetzgebung erfolgen
kann.
Wiederholt vergleicht Wise die nichtmenschliche Versklavung mit
der Versklavung der Schwarzen in Amerika. Doch Präzedenzfälle
haben die Schwarzen nicht befreit. Gerichtsprozesse haben wiederholt
den Eigentums-Status der Schwarzen als Sklavinnen und Sklaven verfestigt.
Erst die Gesetzgebung hat die Schwarzen befreit. Und sie hat alle
befreit, nicht nur die mit der weißesten Haut, nicht nur die
deren Weißheitsgrad bei Null-Komma-Sieben oder höher
gelegen sein mag.
Wir müssen die gleiche moralische Empörung, die die
amerikanischen Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler
hinsichtlich der Versklavung der Schwarzen erweckten, in der heutigen
Gesellschaft erwecken, bis die Aufregung der Öffentlichkeit
eine Veränderung der Gesetzgebung erzwingt, die Empfindungsfähigkeit
als Grundlage für Rechte anerkennt. Wenn irgendein einzelnes
Gericht urteilt, daß ein Schimpanse Rechte hat, weil der Schimpanse
menschenähnliche Intelligenz zeigt, und nicht weil der Schimpanse
Empfindungen hat, dann handelt es sich nicht um den richtigen Präzedenzfall.
Wir wollen nicht, daß einige wenige nichtmenschliche Tiere
als Ehrenmenschen betrachtet werden. Wir wollen das Menschsein als
Basis für Rechte abschaffen.
Der Philosoph Peter Singer hat Wise dafür gelobt, daß
er die Frage “Wo sollen wir die Grenze ziehen?” hinsichtlich
der Frage welche Tiere gesetzlich gesicherte moralische Berücksichtigung
verdienen, vorgeblich beantwortet hätte. Die Antwort ist immer
viel einfacher gewesen als Singer oder Wise uns glauben machen wollen.
Die Grenze sollte zwischen allen empfindungsfähigen Wesen und
allen nichtempfindungsfähigen Dingen gezogen werden. Wenn eine
Kreatur ein Nervensystem hat, kann man vernünftigerweise annehmen,
daß sie fühlen kann. Wenn sie fühlen kann, bedarf
sie des Schutzes, das heißt, gesetzlicher Rechte. Fertig.
In Wirklichkeit glaubt Singer, keine Tiere, einschließlich
der Menschen, sollten unverletzbare Rechte haben. Er glaubt, das
individuelle Wohlergehen und das Leben können im Interesse
des “Gesamtwohls” geopfert werden. Mit anderen Worten,
man kann mich oder eine Kuh versklaven, wenn die Versklavung das
Leben anderer wesentlich verlängert oder verbessert. Man kann
mit mir oder einer Maus experimentieren, wenn (hier müssen
Sie wirklich Ihr Vorstellungsvermögen strapazieren) diese Experimente
an mir oder der Maus das Leben vieler anderer retten sollten.
Obwohl Singer die moralische Berücksichtigung aller empfindungsfähiger
Wesen verteidigt, haben seiner Meinung nach nicht alle Tiere gleichen
Anspruch auf Leben. In der Tat bezeichnet er einige Tiere, wie Fische,
als “austauschbar”. Tierausbeuterinnen und Tierausbeuter
machen das Gleiche.
Nach Singers Meinung haben die meisten Menschen ein erfüllteres,
wertvolleres Leben als Fische, Hühner, und die meisten anderen
Nichtmenschen, weil die meisten Menschen soziale Bindungen, einen
“hohen Grad an Selbstbewußtsein,” und eine “lebendige
Vorstellung von ihrer eigenen Existenz in der Zeit” haben,
und deshalb hätten sie einen höheren Anspruch auf Leben.
So wie bei Wise sind Singers Argumente verworren.
Erstens können Hühner und viele Fische, wenn man sie
lässt, tatsächlich tiefe anhaltende Beziehungen eingehen.
Zweitens können die Merkmale, die von Singer als Verbesserung
der Lebensqualität angeführten sind, diese auch verschlechtern.
Soziale Bindungen verursachen sowohl Leid als auch Freude. Gedanken
an Vergangenheit und Zukunft verursachen sowohl Bedauern und Angst,
als auch Befriedigung.
Drittens können wir den Grad des Selbstbewußtseins
eines Nichtmensches nicht wissen, und wir können nicht wirklich
vergleichen, wie erfüllend das Leben für ein empfindungsfähiges
Lebewesen im Vergleich zu einem anderen ist. Ist das Vergnügen,
das ein Hund beim Rennen durch eine Wiese fühlt, das eine Eidechse
beim Sonnenbaden fühlt, oder das ein Kondor beim Gleiten durch
die Lüfte fühlt mehr oder weniger als das Vergnügen
das eine Musikerin beim Anhören eines Konzerts von Mozart fühlt?
Niemand kann das sagen. Tatsächlich hängt das in gewissem
Maße von dem einzelnen Hund, der Eidechse, dem Kondor, und
der Musikerin ab.
Viertens ist Singers Respektlosigkeit gegenüber Hühnern,
Fischen, und so vielen anderen nichtmenschlichen Tieren unvereinbar
mit seiner eigenen subjektiven Einstellung, derzufolge ungefährliche
Individuen höher zu bewerten sind als gefährliche. Wenn
man diesen Maßstab anlegt, sind Fische und Hühner wertvoller
als die meisten Menschen, die ohne Grund den Tieren soviel Leid
und Tod zufügen (zum Beispiel, beim Essen tierlicher Produkte,
oder beim sich darin Kleiden).
Fünftens ist es einfach ungerecht Individuen—nichtmenschliche
oder menschliche—abzuschreiben weil sie ungeliebt oder weniger
“selbstbewußt” sind als andere. Gleichberechtigung
bedeutet, dass Menschen, die keine sozialen Bindungen haben oder
scheinbar nicht über ihre Vergangenheit oder Zukunft reflektieren,
nicht weniger Rücksichtsnahme und Schutz verdienen. Nichtmenschen
verdienen dieselbe Gleichberechtigung.
In der Tat, Singer betrachtet nur einige Tiere als Individuen—solche
die am offensichtlichsten wie er sind. Das Nichtanerkennen von Individuen,
die anders sind als man selbst, als Individuen, ist die Grundlage
aller Bigotterie. Geradeso wie Rassistinnen und Rassisten den einzelnen
Menschen als Verkörperung einer bestimmten Rasse sehen, betrachten
Speziesistinnen und Speziesisten den einzelnen Nichtmenschen als
bloßen Vertreter der Spezies. Der grundlegende Zug des Speziesismus
ist Ablehnung von nichtmenschlicher Individualität.
In Wirklichkeit ist kein Tier ersetzbar. Sowohl in physischer
als auch in geistiger Hinsicht, ist jedes empfindungsfähige
Wesen einzigartig. Jeder Hummer, jede Krähe, jede Stubenfliege
ist ein Individuum, das eine einzigartige Lebenserfahrung hat und
nie wieder dasein wird. Aber so sehen es Tierausbeuterinnen und
Tierausbeuter nicht. Ein Beispiel bietet die Fleischindustrie. Nach
Ansicht der Industrie—und der Fleischesserinnen und Fleischesser—können
Hühner, Fische, und andere Nichtmenschen jedes Jahr zu Milliarden
getötet werden, vorausgesetzt, dass weitere Artgenossen für
künftige Schlachtungen verfügbar sind. Im Grunde ist Singer
der gleichen Ansicht.
Wenn Wise und Singer fordern, daß Nichtmenschen menschenähnliche
Merkmale zeigen müssen, und sie demgemäß ordnen,
zementieren sie die Vorstellung von der Überlegenheit des Menschen.
Diese Vorstellung gefährdet Menschen ebenso wie Nichtmenschen.
Über Jahrhunderte hinweg haben Weiße Schwarze mit angeblich
minderwertigen nichtmenschlichen Tieren gleichgesetzt und sie “Affen”
und “Bestien” genannt. Die Nazis haben Juden als “Tiere”
und “Ungeziefer” bezeichnet. Der Glaube an eine Hierarchie
von über- und untergeordneten Wesen liegt allen Ideen menschlicher
Minderwertigkeit zugrunde: die angebliche Minderwertigkeit von Schwarzen,
Juden, Frauen, Ausländerinnen und Ausländern... Wenn es
keine Hierarchie unter Lebewesen gibt, kann niemandem Gleichberechtigung
und Rechtsschutz abgesprochen werden mit der Begründung er
sei weniger Mensch, oder Untermensch.
Selbst wenn jeder Nichtmenschen nicht die Fähigkeit zu einer
menschenähnlichen Denkweise hätte, wäre er nicht
minderwertig. Warum sollten wir menschliche Eigenschaften mit Höherwertigkeit
gleichsetzen? Weil wir sie besitzen? In der gleichen selbstverherrlichenden
und voreingenommenen Weise könnte eine große Sängerin
sagen: “Ich kann schwierige Melodien herrlich singen. Diese
Fähigkeit macht mich höherwertig.” Dann wären
gesangbegabte Menschen, viele Singvögel, und vielleicht andere
Nichtmenschen wie Buckelwale an der Spitze der Hierarchie. Am unteren
Ende der Hierarchie wären jene Kreaturen die absolut kein Gesangstalent
haben, wie Britney Spears.
Weil in unserer Kultur gesprochene Sprache und Technologie einen
hohen Stellenwert haben, tendieren Speziesistinnen und Speziesisten
dazu, Intelligenz anhand dieser Fähigkeiten zu messen. Wenn
wir aber Intelligenz definieren als auf Beweisen basierende Wahrnehmung,
die weder von Vorurteilen noch von Mythen verfälscht ist, dann
schneiden die Menschen im Vergleich mit anderen Tieren schlecht
ab. Während Menschen Nichtmenschen Verstand absprechen, randallieren
Mitglieder “der vernunftbegabten Spezies” bei Fußballspielen;
rauchen, essen, und trinken sich zu Tode; verpesten Luft, Wasser,
und Boden, die für sie lebenswichtig sind; glauben daß
andere Religionen falsch sind aber ihre die einzig wahre; und zahlen
Kinoeintritt um Arnold Schwarzenegger zu sehen.
Selbst nach konventionellem menschlichem Standard ist eine ausgewachsene
Bachforelle in vieler Hinsicht gescheiter als ein neugeborener oder
seniler Mensch, und die Durchschnittstaube oder -ratte besitzt größere
Lernfähigkeit und Vernunftbegabung als viele Menschen mit geistiger
Behinderung. Wenn auch ein nichtmenschliches Tier keine komplizierten
mathematischen Gleichungen lösen und keine philosophische Abhandlung
verfassen kann, so können das die meisten Menschen auch nicht.
Einige Menschen können überhaupt keine Zahlen oder Worte
benutzen.
Hinsichtlich der Grundrechte ist der Intelligenzgrad eines Individuums
moralisch irrelevant. Intelligenzgrad ist nur eine Ausrede, um die
Nichtmenschen ihrer Freiheit, ihres Wohlergehens, und ihres Lebens
berauben zu können. Diese Ausrede ist aber voller Widersprüche.
Obwohl die auf Rasse, Geschlecht, oder anderen biologischen Merkmalen
basierende Unterdrückung seitens des Menschen gewöhnlich
lange Begründungen mit sich bringt, die von Minderwertigkeit
und Höherwertigkeit handeln, würden wenige Leute Gesetze
gut heißen, die Menschen nur dann schützen, wenn sie
gewisse Fähigkeiten haben. In einer Demokratie schützt
das Gesetz alle menschlichen Tiere, unabhänging von ihrem Intelligenzgrad.
Eine demokratische Gesellschaft beraubt die Menschen nur dann
ihrer Freiheit, wenn angenommen wird, daß sie wissentlich
Unrecht gemacht haben. Die meisten Nichtmenschen verletzen nicht
ernsthaft und töten nicht, es sei denn direkt um zu überleben,
zum Beispiel wenn ein Löwe seine Beute tötet. Man kann
Nichtmenschen keines schweren Verbrechens beschuldigen. Weil Nichtmenschen,
die unnötiges Leid verursachen, wahrscheinlich nicht wissen,
daß sie Unrecht handeln, sollten auch sie als unschuldig betrachtet
werden (geradeso wie Menschen, die nicht Recht von Unrecht unterscheiden
können, nicht zur Verantwortung für Verletzung oder Tötung
eines anderen Menschen herangezogen werden).
Im Gegensatz zu Nichtmenschen, sind die meisten Menschen schuldig.
Während Raubtiere töten um zu überleben, töten
und verletzen Jägerinnen und Jäger oder Anglerinnen und
Angler zum Vergnügen. Während Nichtmenschen selten den
Akt des Tötens vorsätzlich verlängern, quälen
Menschen zum Beispiel in Stierkämpfen und Tierversuchen die
Tiere langsam zu Tode. Jeden Tag tötet die Fleischindustrie
Millionen von Vögeln, Säugetieren und Fischen für
Profit. Aus purer Bequemlichkeit und aus Lust auf den Geschmack,
essen viele Menschen die Überreste. Die meisten Menschen beteiligen
sich direkt oder indirekt wissentlich routinemäßig an
der unnötigen Verursachung von Leid und Tod. Während sie
sich ihrer “menschlichen Güte” rühmt, behandelt
unsere Spezies Nichtmenschen (und oft Menschen) mit extremer Ungerechtigkeit
und Grausamkeit.
Unter Menschen, basiert Gerechtigkeit auf Unschuld oder Schuld,
und eine Person wird als unschuldig erachtet solange es keine zwingenden
Beweise einer Schuld gibt. Warum gilt das gleiche Prinzip nicht
für alle Tiere? Warum genießen nichtmenschliche Tiere—die
unschuldig sind—nicht ein gesetzliches Recht auf Freiheit
und Leben? Speziesismus basiert auf einem 2-Klassen-Denken. Wir
müssen weiterhin dieses 2-Klassen-Denken aufdecken.
Der heute vorherrschende Eigentums-Status nichtmenschlicher Tiere
muß beendet werden. Gegenwärtig legitimieren die meisten
sogenannten Tierschutzgesetze den Mißbrauch der Tiere: sie
schreiben einfach die Umstände vor, unter denen Inhaftierung,
Versklavung, Verletzung und Tötung von nichtmenschlichen Tieren
erlaubt ist. Genauso wie die Gesetze, die die erlaubte Vorgangsweise
bei der Versklavung der Schwarzen in Amerika festschrieben, abgeschafft
wurden, sollten auch solche Gesetze abgeschafft werden.
Stattdessen brauchen wir Gesetze, die den Menschen verbieten nichtmenschliche
Rechte zu verletzen. Es wäre ideal, wenn die Rechte, die den
Menschen schützen, alle Tiere schützen würden, indem
alle anwendbaren Rechte, die heute für Menschen reserviert
sind, auf alle Tiere übertragen würden.
Wie können wir die Legislative überzeugen die von uns
geforderten Gesetze zu erlassen? In den Vereinigten Staaten sind
Schmiergelder (auch “Wahlkampfspenden” genannt) ziemlich
effektiv. Jedoch sind die meisten Tierrechts-Aktivistinnen und –aktivisten
arm. Deshalb können wir nie genug Stimmen kaufen um Nichtmenschen
zu emanzipieren. Das heißt, wir müssen an die Öffentlichkeit
appellieren.
Wir müssen die Öffentlichkeit überzeugen daß
Tierversuche, Versklavung und Schlachtung in der Lebensmittelindustrie,
und andere Formen des speziesistischen Mißbrauchs unmoralisch
sind—wirkliche Ungeheuerlichkeiten. Um das zu erreichen, müssen
wir ständig das durch diese Praktiken verursachte Leiden und
Töten bloßstellen, und die Ablehnung von nichtmenschlichen
Rechten als bigott, unlogisch, und ungerecht entlarven.
Fordern Sie diejenigen, die speziesistischen Mißbrauch akzeptieren
und daran teilhaben, auf sich zu rechtfertigen: “Wenn wir
kein moralisches Recht haben Menschen zu verletzen oder zu töten,
ausgenommen in Ausnahmefällen wie Selbstverteidigung, was gibt
uns das Recht routinemäßig Nichtmenschen zu verletzen
oder zu töten? Wenn Sie meinen, daß es unrecht ist an
einem Mensch gegen dessen Willen Versuche durchzuführen, was
immer seine geistigen Fähigkeiten sein mögen, warum meinen
Sie dann nicht, daß es auch Unrecht ist dasselbe mit einer
Ratte zu tun? Wenn Sie keinen Mensch töten und seine Überreste
essen würden, es sei denn Sie wären dem Hungertod nahe
und vielleicht nicht einmal dann, warum essen Sie die Überreste
eines geschlachteten Schweines?”
Wenn jemand antwortet, “Ich bin mehr um Menschen besorgt
und finde nichts dabei,” dann haken Sie nach: “Wenn
Ihnen Gerechtigkeit wichtig ist, dann treten Sie nicht dafür
eintreten, daß Mitglieder Ihrer Familie, Ihres Geschlechts,
oder Ihrer Rasse mehr Rechte als andere Menschen haben. Warum denken
Sie dann ist es für Mitglieder Ihrer Spezies gerecht, mehr
Rechte als andere Tiere zu haben? Würden Sie wollen, daß
Ihre Rechte von Ihrer Zugehörigkeit zu einer bevorzugten Gruppe
abhängen? Wenn Sie schon nicht das Leben einer Ratte oder eines
Schweines wertschätzen, die Ratte oder das Schwein selbst tun
das sicher.”
Wenn wir für Tierrechte argumentieren, argumentieren wir
gegen jede Form von speziesistischem Mißbrauch. Wenn wir stattdessen,
zum Beispiel, mit den Vorteilen von Veganismus für unsere Gesundheit,
oder der wissenschaftlichen Unhaltbarkeit von Tierversuchen argumentieren,
dann müssen wir für jede Art von Mißbrauch, sogar
für jedes Lebensmittel oder jedes Experiment, neu argumentieren.
Diese Art von Argumentation ist auch insofern von Nachteil, als
sie vermuten läßt, es sei moralisch akzeptabel nichtmenschliche
Tiere zu verletzen wenn ihre Verletzung uns nützt. Das Gesundheits-Argument
legt nahe, daß es richtig wäre Fleisch zu essen, wenn
Fleisch gesund wäre. Das Wissenschafts-Argument legt nahe,
daß es richtig wäre Tierversuche durchzuführen,
wenn Tierversuche großartige Wissenschaft wären. Deshalb,
wenn Sie Gesundheit, Wissenschaftlichkeit, und andere Nicht-Tierrechts-Argumente
anführen, betonen Sie bitte, daß die Praktiken, die Sie
ablehnen, unmoralisch sind.
Wie der Tierrechtler und Professor der Rechtswissenschaften Gary
Francione, glaube auch ich, daß jede von uns geforderte Gesetzesänderung
auf Abschaffung und nicht auf Reglementierung eines Tiermißbrauchs
hin gerichtet sein sollte. Sie sollte Menschen daran hindern die
Rechte eines oder mehrerer—am besten aller—Nichtmenschen
zu verletzen.
Zum Beispiel, ein Verbot für Tiger im Zirkus würde den
Zirkusleuten verbieten das Recht eines Tigers auf Nichtversklavung
zu verletzen. Im Gegensatz dazu sanktioniert ein Gesetz für
sogenanntes “humanes Schlachten” das Schlachten. Ein
Gesetz, das verlangt, daß Tiere, deren Kehle durchgeschnitten
wird, vorher betäubt werden müssen, sagt im Endeffekt,
“Es ist akzeptabel, daß man einem Tier die Kehle durchschneidet,
vorausgesetzt es wurde vorher betäubt.”
Ich bin der Meinung, daß wir für solche Gesetze nicht
eintreten sollten. Stattdessen sollten wir Gesetze fordern, die
folgende Handlungen von Menschen verbieten:
Ein nichtmenschliches Tier für ein Experiment, das nicht zum
Vorteil des betroffenen Tieres erfolgt, zu verwenden;
Ein nichtmenschliches Tier zu Arbeit, Zurschaustellung, Wettkampf
oder Dienstleistungen für Menschen zu zwingen;
Ein nichtmenschliches Tier zu kaufen, zu verkaufen, zu züchten,
auszustellen, zu inhaftieren, einzufangen oder zu quälen;
Ein nichtmenschliches Tier absichtlich zu verletzen, außer
in Notwehr;
Ein nichtmenschliches Tier absichtlich zu töten, außer
um ein offensichtlich unheilbares Leiden zu beenden; oder um Parasitismus
bei jemandem anderen, oder Verletzung oder Tötung von jemandem
anderen zu verhindern; oder um jemanden anderen vor dem unmittelbar
bevorstehenden Hungertod zu retten.
Verlieren Sie bei Ihrer politischen Arbeit das Ziel der Gleichberechtigung
der nichtmenschlichen Tiere nicht aus den Augen. Treten Sie für
nichtmenschliche Rechte ein, wobei die Empfindungsfähigkeit
das einzige Kriterium dafür sein sollte, wer diese Rechte bekommt.
Und nur Gesetzesforderungen für die schrittweise oder komplette
Abschaffung von Tiermißbrauch, und nicht für dessen Reglementierung,
sollten als Mittel um dieses Ziel zu erreichen verwendet werden.
Letztendlich ist die Gleichberechtigung der Tiere synonym mit
Gerechtigkeit. Verlangen Sie Gerechtigkeit nicht nur für einige,
sondern für alle.
Ich danke Ihnen dafür, daß Sie sich für die Gleichberechtigung
der Tiere einsetzen.
Und jetzt—Entschuldigen Sie—bitte ich Sie Ihre Fragen
auf englisch zu stellen.
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