Tierschutz-/Tierrechtsarbeit und Antisemitismus
Vortrag, gehalten am 19. September 2004 am Tierrechtskongress
in Wien von Birgit Pack
EINLEITUNG
Der folgende Beitrag setzt sich damit auseinander, wo und in welcher
Form Antisemitismus in Tierschutz- und Tierrechtskreisen auftritt.
Zu Beginn kurz eine Begriffsdefinition und Erklärung, wie
es zu der Beschäftigung mit dem Thema kam:
Definition Antisemitismus
Eine vollständige Antisemitismusdefinition zu geben ist
in Kürze nicht möglich und auch nicht Aufgabe dieses
Beitrags1. Hier nur eine kursorische Erklärung: Antisemitismus
bezeichnet Vorstellungen, Aussagen und Handlungen, die sich kollektiv
gegen
jüdische Menschen richten, sowie gegen Institutionen oder
Symbole, die mit JüdInnen bzw. jüdischer Kultur in Zusammenhang
stehen oder in Zusammenhang gebracht werden und dabei pauschale
Zuschreibungen und Verurteilungen vornehmen. Das heißt, Antisemitismus
beginnt nicht bei tätlichen Übergriffen, sondern schon
viel früher, bei den Gedanken und Bemerkungen die diesen Handlungen
zugrunde liegen bzw. die nicht dagegen auftreten. Antisemitisch
sind auch nicht ausschließlich bewusst und absichtlich antisemitische
Worte und Taten. Da wir in einer Gesellschaft leben, die eine Jahrhunderte
lange antisemitische Tradition hat, kommt es auch vor, dass Menschen,
die nichts sagen oder tun würden, das sie als antisemitisch
erkennen und einstufen, sich trotzdem unbewusst antisemitisch verhalten.
Wie kam es zu diesem Arbeitskreis
Aus genau dieser Problematik heraus entstand mein Arbeitskreis.
Ich habe in letzter Zeit mehrfach in Tierschutz/Tierrechts-Publikationen
und Diskussionen Äußerungen gehört und gelesen,
die entweder offensichtlich antisemitisch waren oder die ich
als problematisch empfunden habe, weil sie unterschwellig antisemitische
Vorurteile transportierten. Daraus ergab sich die nähere
Beschäftigung mit dem Problem des Antisemitismus in Tierrechts-
und Tierschutzzusammenhängen. Das Anliegen dabei ist, einen
Beitrag zu leisten um Antisemitismus erkennen und benennen zu
können sowie notwendige Gegenstrategien zu diskutieren und
zu initiieren.
Grundthesen
Folgende Grundthesen möchte ich meinen Ausführungen vorausschicken:
- Antisemitische Tradition
In „unserer“, d.h. der österreichischen Gesellschaft,
besteht eine lange Tradition von Judenfeindschaft bzw. Antisemitismus.
Diese reicht zurück bis ins Mittelalter und veränderte
sich selbstverständlich im Laufe der Jahrhunderte. Ohne diese
lange Praxis des Antisemitismus wäre der Holocaust, die Ermordung
von rund 6 Millionen Juden und Jüdinnen im Nationalsozialismus,
nicht möglich gewesen. Und genauso wie es Antisemitismus vor
1933 bzw. 1938 gab, bedeutete das Jahr 1945, die Befreiung von
der nationalsozialistischen Herrschaft, keinesfalls das automatische
Ende des Antisemitismus in Österreich und Deutschland. Obwohl
heute weitgehend Konsens herrscht in der Verurteilung des Holocaust
und der Ablehnung des Antisemitismus, ist Antisemitismus in der
Gesellschaft nach wie vor präsent. Da die Tierschutz- und
Tierrechtsbewegung Teil dieser Gesellschaft ist, ist auch sie mit
dem Problem des Antisemitismus konfrontiert und kann sich der Auseinandersetzung
damit nicht entziehen.
- Formen und Inhalte des Antisemitismus
Bei all den Kontinuitäten, die es hinsichtlich der Existenz
von Antisemitismus und antisemitischen Inhalten, Vorurteilen und
Feindbildern gibt, ist es unbedingt notwendig, sich auch die veränderten
Formen des Auftretens von Antisemitismus nach 1945, nach dem Holocaust,
bewusst zu machen2.
Heute wird man kaum Leute finden, die sich selbst als AntisemitInnen
bezeichnen, wie das von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum
Ende des Nationalsozialismus üblich war. Und offen antisemitische Äußerungen
und tätliche Übergriffe kommen noch immer und viel zu
oft vor, gerade in den letzten Jahren verstärkt, aber darüber
hinaus gibt es neue Formen des Antisemitismus: so kann man eine
Verlagerung ins Private beobachten: während in der Öffentlichkeit
antisemitische Bemerkungen vermieden werden, finden sich diese
verstärkt in informellen Gesprächen und Diskussionen,
sei es persönlich oder virtuell, zum Beispiel auf Mailinglisten,
bei Telefonaten und Gesprächen bei Infotischen.
Antisemitismus tritt also meistens nicht offen und direkt in Erscheinung,
sondern manifestiert sich in der Regel unterschwellig, verbrämt
und indirekt.
Diese These muss ich allerdings für meinen Vortrag etwas relativieren.
Bei meinen Recherchen war ich damit konfrontiert, dass sehr viele
Aussagen in Zusammenhang mit Tierschutzthemen nicht versteckt,
sondern offen und direkt antisemitisch sind. Das entspricht den
Beobachtungen3, dass Antisemitismus, der latent vorhanden ist,
immer dann offen geäußert wird, wenn es einen Anlass
gibt, der als Rechtfertigung benutzt werden kann (auch wenn es
tatsächliche keine Rechtfertigung für antisemitische
Bemerkungen gibt) bzw. wenn stark emotionale Debatten geführt
werden, in denen Menschen oft auf gesellschaftliche Konventionen
vergessen oder verzichten, wie es auch bei Tierschutzthemen häufig
der Fall ist.
Neben den veränderten Formen des Antisemitismus gibt es seit
1945 auch neue Inhalte, meist zusätzlich und oft in Kombination
zu den alten. So treten in Zusammenhang mit dem Umgang mit dem
Holocaust und in der Darstellung der NS-Vergangenheit immer wieder
sogenannte sekundäre Antisemitismen zu Tage, die darauf abzielen
den Holocaust zu verharmlosen und die Erinnerung daran sowie die
Verantwortung dafür abzuwehren. Auch der Staat Israel und
seine Politik, vor allem in Bezug auf den israelisch-palästinensischen
Konflikt sind oft Gegenstand antisemitischer Diskurse.
Untersuchungsgegenstand
Ich habe zu dem Thema Antisemitismus in der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung
Belege aus aktuellen Tierrechtspublikationen aus dem deutschsprachigen
Raum gesammelt, die von verschiedenen Gruppen stammen und zu unterschiedlichen
Themen erschienen sind4. Zu jenen Themen, wo die Gefahr des Antisemitismus
am größten ist und wo am häufigsten antisemitische Äußerungen
zu beobachten sind, zählen das Schächten und die sogenannten
KZ-Vergleiche, also die Gleichsetzung der Ausbeutung und Ermordung
sogenannter Nutztiere mit dem Holocaust.
Aber auch bei anderen Themen treten Antisemitismen auf, so zum
Beispiel bei der Kritik an den Tötungen von Tieren im Rahmen
von Kunstaktionen von Hermann Nitsch oder in Zusammenhang mit Tierversuchen.
Ein weiteres Feld sind die Kontroversen um die Gruppe „Universelles
Leben“. Ebenso zu thematisieren wären Fragen der Bündnispolitik
mit Institutionen (zum Beispiel aus dem Medien- oder Politikbereich),
die nicht der Tierschutz-/Tierrechtsszene angehören, die aber
für einzelne Kampagnen von manchen als mögliche PartnerInnen
betrachtet werden, obwohl sie wiederholt durch antisemitische Äußerungen
negativ aufgefallen sind. Auch deren Vereinnahmungsversuche von
Tierschutzthemen zu ihren antisemitischen und rassistischen, nationalistischen
Zwecken ist in Zusammenhang mit dem Themenkomplex Antisemitismus
und Tierschutz/Tierrecht relevant.
Aus Zeitgründen und weil mein Vortrag sich vor allem als
Impulsgeber für die Beschäftigung mit dem Thema und als
ersten Schritt in diese Richtung sieht und nicht als vollständige
Abhandlung des Problems, werde ich all diese Bereiche heute ausklammern
und
mich vor allem auf die Diskussionen rund um das Schächten5 konzentrieren sowie kurz auf Kontroversen rund um die Holocaust-Gleichsetzungen
eingehen.
SCHÄCHTEN
Die Kritik am Schächten ist eines jener Themen wo am häufigsten
antisemitische Äußerungen getätigt werden. Ebenso
kommt es in diesem Zusammenhang oft zu antiislamischen oder allgemein „fremden“feindlichen
Aussagen. Die kritische Auseinandersetzung damit ist nicht weniger
wichtig als die Kritik am Antisemitismus. Die Gründe dafür,
dass ich mich heute auf Ausführungen zum Thema Antisemitismus
beschränke sind, dass Antisemitismus und Rassismus zwar Parallelen
haben aber doch auch wesentliche Unterschiede, weswegen eine gemeinsame
Betrachtung eine sehr differenzierte sein müsste, was den
Rahmen dieses Vortrags sprengen würde.
Nationalsozialistische Anti-Schächt-Propaganda
Bevor wir uns der aktuellen Problematik des Antisemitismus in
Zusammenhang mit der Kritik am Schächten zuwenden möchte ich in
einem kurzen Exkurs auf die nationalsozialistische antisemitische
Propaganda zu diesem Thema eingehen. Das Wissen darüber
ist unabdingbar, da wir unsere Arbeit nicht losgelöst von
der Geschichte sehen können, sondern den historischen Kontext
kennen und mitberücksichtigen müssen.
Seit dem 19. Jahrhundert gab es Kampagnen und Forderungen für
eine allgemeine Vorschrift zur Betäubung von Tieren vor der
Tötung. 1933, kurz nach Beginn der NS-Herrschaft in Deutschland,
wurde das „Gesetz über das Schlachten von Tieren“ erlassen
(21. April 1933, RGBl. I, S. 203), in dem generell vorgeschrieben
wurde dass „Schlacht“tiere vor der Tötung betäubt
werden müssen, was bis zu diesem Zeitpunkt nicht der Fall
war. In diesem Gesetz wird das Schächten nicht eigens erwähnt,
aber dass es keine Ausnahmeregelung für religiöse Schlachtmethoden
gab (wie in vielen Gesetzesentwürfen vor der Zeit des NS-Regimes
vorgeschlagen) liegt definitiv an der antisemitischen Ideologie
und Praxis der NationalsozialistInnen. Auch in der Propaganda wurden
Tierschutz und die Kritik am Schächten benutzt um JüdInnen
zu diffamieren und damit die Voraussetzung für ihren Ausschluss
aus der Gesellschaft, für ihre Vertreibung und Ermordung zu
schaffen. Das illustriert auf besonders deutliche und menschenverachtende
Weise der antisemitische NS-Propagandafilm „Der ewige Jude“ (1940).
In diesem Film werden in einer zentralen Szene Bilder von der betont
grausam dargestellten Schächtung von Rindern und Schafen gezeigt,
dazwischen werden die lachenden Gesichter der Schlachter eingeblendet.
Diesen Szenen werden nicht etwa Aufnahmen von Schlachtungen mit
vorhergehender Betäubung der Tiere gegenübergestellt
(wie es der Realität entsprechen würde), sondern idyllische
Aufnahmen von lebenden Tieren auf Wiesen und Weiden. Auszüge
aus dem Sprechtext dazu lauten:
„Angeblich gebietet den Juden ihre sogenannte Religion,
nur geschächtetes Fleisch zu essen. Sie lassen die Tiere deshalb
bei lebendigem Leib verbluten. [...] Die jüdischen Gesetzesbücher
haben für Überlegungen, die aus der germanischen Achtung
und Liebe zum Tier stammen, keinen Sinn. [...] Diese Bilder sind
ein eindeutiger Beweis für die Grausamkeit der Schächtmethode.
Sie enthüllen zugleich den Charakter einer Rasse, die ihre
stumpfe Roheit [sic] unter dem Mantel frommer Religionsausübung
verbirgt.“
Und etwas weiter im Film heißt es nach einem Hinweis auf
das gesetzliche Verbot des Schächtens:
„Und wie mit dem Schächten, so hat das nationalsozialistische
Deutschland mit dem gesamten Judentum aufgeräumt. Jüdischer
Geist und jüdisches Blut werden niemals mehr das deutsche
Volk verseuchen.“
Darauf folgen Ausschnitte einer Rede Hitlers die mit den Worten
schließt:
“Wenn es dem internationalen Finanzjudentum ... gelingen
sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen,
dann wird das Ergebnis nicht der Sieg des Judentums sein, sondern
die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!“6
Zu diesen Zitaten gäbe es viel zu sagen, ich möchte
an dieser Stelle nur auf zwei Aspekte verweisen, die mir für
unseren Zusammenhang wesentlich erscheinen: zum einen die Benutzung
des Tierschutzes und der angeblichen Tierliebe der „germanischen“ Deutschen
zur Abgrenzung JüdInnen gegenüber: hier wird vermeintlicher
Tierschutz als Vorwand benutzt um antisemitische und rassistische
Vorurteile und Hierarchien zu begründen und zu verfestigen.
Der zweite Gesichtspunkt, den ich aus den Zitaten hervorheben möchte,
ist die Verbindung des Schächtverbots mit der Vernichtungsdrohung.
Die eingebauten Schächtszenen in dem antisemitischen Propagandafilm
sind wichtige Gestaltungsmittel, um die angekündigte Vernichtung
zu legitimieren und Zustimmung dafür zu erlangen.
Soviel zur nationalsozialistischen Anti-Schächt-Propaganda.
Man sollte diese immer im Kopf haben wenn man das Schächten
heute thematisiert um sich nicht in diese negative Tradition der
Verbindung von Tierschutz und Menschenverachtung zu setzen.
Antisemitismus bei Anti-Schächt-Kampagnen heute
Wie groß diese Gefahr ist zeigen folgende Beispiele, welche
die Kontinuitäten in der antisemitischen Argumentation verdeutlichen.
Viele der in aktuellen Debatten verwendeten antisemitischen Anspielungen
und Klischees greifen dabei auf alte Stereotype zurück. Zu
den am häufigsten vertretenen Themen und Diffamierungen zählen
dabei:
- Die Konstruktion eines Gegensatzes zwischen vermeintlicher
Zivilisation und angeblicher Barbarei
In der Kritik am Schächten finden sich überdurchschnittlich
oft Bezeichnungen wie die folgenden:
„anachronistische Barbarei“, „ein Relikt aus
grauer Vorzeit, das in einer zivilisierten Gesellschaft nichts
verloren hat“, „mittelalterliche Riten“ bzw. „wie
im tiefsten Mittelalter“ Diese und andere negativ
konnotierte Zuschreibungen werden in Zusammenhang mit der Schächtkritik viel häufiger angewandt
als beispielsweise bei der Kritik von Missständen in „gewöhnlichen“ Schlachthöfen.
Damit wird ein Gegensatz konstruiert, der ganz in der Linie einer
dualistischen Weltsicht steht, die auf die eine Seite die vermeintliche
Zivilisation stellt und auf der anderen Seite angebliche Barbarei
verortet. Die Stigmatisierung von Menschen als unzivilisiert schaffte
in der Vergangenheit die Voraussetzung für ihre Diskriminierung
und den Ausschluss aus der Gesellschaft. Das wird auch deutlich
in Vorwürfen der Un-menschlichkeit, die all jenen gemacht
werden, die das Schächten befürworten.
Durch die Unterscheidung in verschiedene Schlachtarten, in die „TierschützerInnen“ und
die „TierquälerInnen“, werden letztere zu den „Anderen“ gemacht,
auf die alle negativen Empfindungen und Eigenschaften projiziert
werden. Während sich die SchächtkritikerInnen durch Unterstellungen
wie jene der Kulturlosigkeit ein positives Selbstbild konstruieren,
werden die „Anderen“ herabgesetzt und ausgegrenzt.
- Ritualmordbeschuldigungen
Die Bezeichnung Ritualmord wird
immer wieder für das Schächten
verwendet,
so wird zum Beispiel über „Ritualmorde an Tieren“,
oder „Religionsfreiheit für Ritualmorde?“ gesprochen.
Jede/r, der/die diesen Ausdruck benutzt knüpft damit an die
antisemitischen Ritualmordbeschuldigungen an. Diese erfundenen
Anschuldigungen, die Jahrhunderte lang verbreitet wurden, warfen
Juden vor, ChristInnen (besonders Kinder und junge Frauen) als
Teil eines religiösen Kultes zu töten. Die Ritualmordunterstellungen
waren oft ein Vorwand für tätliche Angriffe auf JüdInnen,
Vertreibungen und Pogrome. Man sollte sich bewusst sein, dass
man sich mit der Verwendung dieses Begriffes in die Tradition
dieser
antisemitischen Vorurteile und Taten stellt.
- Vorwurf der Nicht-Integration/Anpassung
Die Forderung, dass sich alle in Österreich lebenden Menschen
an „unsere“ Gesetze und moralischen Standards zu halten
haben wird in Anti-Schächt-Debatten permanent erhoben. Dabei
wird ignoriert, dass die Bezugnahme auf dieses „unser“ und
der angeblichen „wir“-Gemeinschaft eine nationalistische
und völkische Konstruktion ist. Sie legt nahe, dass weder
die österreichische StaatsbürgerInnenschaft, noch der
langfristige Aufenthalt in Österreich ausreichen um zu „uns“ zu
gehören und als Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden.
Das gleiche gilt für die Berufung auf Gesetze: die rechtlichen
Bestimmungen in Österreich verbieten das Schächten nicht,
die Forderung nach der Anpassung an hier geltende Gesetze spricht
daher nur teilweise die juristischen Bestimmungen an, der Verweis
auf „höhere“ Gesetze, die weniger vom Staat gemacht
als von völkischem Empfinden bestimmt werden schwingt hier
mit.
Menschen, die schächten (bzw. Fleisch von geschächteten
Tieren konsumieren) werden als explizit anders und nicht der – imaginierten – Gemeinschaft
zugehörig dargestellt. Diese Strategie findet sich bei kaum
einem anderen Tierschutzthema.
Durch die Unterscheidung der Schlachtmethoden und die Art der Kritik
am Schächten wird ein Fremd-sein all jener konstruiert, die
Gewohnheiten haben, die von der Mehrheitsgesellschaft abweichen.
- Bezug zu NS-Vokabular
Die verbale Ausgrenzung und die Vorwürfe an JüdInnen,
sich nicht anpassen zu wollen, kommen auch in Bezeichnungen wie „Sondergesetze“ oder „Sonderbehandlung“ zum
Ausdruck. So wird die Beschwerde eines Tierschutzvereins als „Aufsichtsbeschwerde
gegen die für diese Sonderbehandlung von Schächtjuden
verantwortlichen Beamten des Bundesamtes für Veterinärwesen“ bezeichnet,
weitere Zitate zu sind:
„Sonderrechte
für Juden: Schächtfleisch vom seuchenpolizeilichen
Importverbot für Frischfleisch ausgenommen!“
„Die Karlsruher Sondergesetze sind aber nicht nur unzulässig
[… ]“
Aussagen wie diese sind besonders perfide, weil sie sich auf nationalsozialistisches
Vokabular stützen: so beschreibt die Bezeichnung „Sonderrecht“ jene
Gesetze, welche die Diskriminierung und Enteignung von JüdInnen
regelten und der Begriff „Sonderbehandlung“ meinte
die Ermordung von JüdInnen durch Einsatzgruppen und in Konzentrations-
und Vernichtungslagern7.
- Auswanderungsaufforderungen
Verbunden mit dem Vorwurf der Nicht-Integration sind Behauptungen,
für Praktiken wie das Schächten (und Menschen, die
diese durchführen) wäre kein Platz im Land. Aufforderungen
zur Auswanderung bzw. diffuse und nicht näher definierte
Wünsche, jene, die schächten, mögen verschwinden,
sind ein Gemeinplatz in Auseinandersetzungen mit dem Schächten.
Eines von vielen Beispielen dazu ist dieses:
„Diejenigen,
denen unsere Gesetze nicht gefallen, sollen auswandern.“
- Schaffen von Bedrohungsszenarien
Eine oft gebrauchte Taktik von vielen SchächtgegnerInnen ist
das Schaffen von Bedrohungsszenarien. So wird beispielsweise häufig
eine „Unterwanderung“ der Gesellschaft prognostiziert,
sollte das Schächten nicht generell verboten werden.
- Angeblicher
jüdischer Einfluss auf Gesetzgebung und Medien
Das alte antisemitische Bild von den angeblich übermächtigen
und einflussreichen JüdInnen wird auch in Zusammenhang mit
Anti-Schächt-Kampagnen fortwährend benutzt. So trägt
beispielsweise eine Aussendung zum Thema Schächten den Titel:
„Die
Macht der Juden in der Schweiz: Der Krauthammer-Clan“ Ebenso
zahlreich sind die Behauptungen, JüdInnen würden
die Sensibilität gegenüber Antisemitismus und den
Holocaust benutzen, um daraus Vorteile zu erzielen, wie in
folgenden Zitaten
deutlich wird:
„Aber gewisse jüdische Kreise haben sich offenbar zu
sehr daran gewöhnt, mit ihren Zauberwörtern >Rassendiskriminierung< und >Antisemitismus< alle
ihre Interessen ohne Widerstand durchsetzen zu können.“
oder
„Das Buch enthüllt, wie jüdische Kreise den Holocaust
skrupellos als Druckmittel für egoistische Zwecke missbrauchen“
- Umkehr der Verantwortung für Antisemitismus
Ein beständig gebrauchtes antisemitisches Motiv ist die Umkehr
von Verantwortung für Antisemitismus. Dabei wird die Schuld
an antisemitisches Äußerungen (und Taten) JüdInnen
gegeben und auf deren Verhalten zurückgeführt. Ein krasses
Beispiel dafür ist folgender Auszug aus einem Email an eine
Tierrechts-Mailingliste:
“Die Freiheit der Religionsausübung darf nicht zur
Legalisierung von Gräueltaten missbraucht werden. Sonst stauen
sich Verachtung und Hass gegen die als unerträglich empfundenen
fremden Bräuche und Ritualmorde an Tieren so lange auf, bis
sich der Volkszorn an einem zufälligen Auslöser entfacht
und es zu Progromen [sic] kommt.“
Alle diese Beispiele zeigen auf erschreckend deutliche Weise das
Vorkommen von Antisemitismus in Anti-Schächt-Diskursen. Wie
wir gesehen haben, sind antisemitische Äußerungen in
Zusammenhang mit der Kritik am Schächten häufig, direkt
und stehen oft stark in der langen antisemitischen Tradition. Eine
Frage, die sich dadurch vielen stellt, ist:
Sind Anti-Schächtkampagnen grundsätzlich antisemitisch?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Antisemitismus in der
Bevölkerung, aber auch in Teilen der Medien und bei manchen
politischen Gruppierungen stark verwurzelt ist. Wie sich in den
letzten Jahren gezeigt hat, liefert die Thematisierung des Schächtens
diesen Personen und Gruppen einen Vorwand um ihrem Antisemitismus
(und ihrer Xenophobie) Ausdruck zu verleihen – unabhängig
davon, wie TierschützerInnen argumentieren. Daher kann niemand
garantieren, dass eine Anti-Schächt-Kampagne (auch falls sie
von TierschützerInnenseite nicht antisemitisch geführt
wird) nicht Anlass zu antisemitischen Ausfällen ist. Aus diesem
Grund (und weil die Tierschutzbewegung selbst nicht frei von Antisemitismus
ist) kann man die Eingangsfrage nicht verneinen.
HOLOCAUSTGLEICHSETZUNGEN
Ich gehe im folgenden nicht auf die Frage ein, ob bzw. warum die
Gleichsetzung von der Ermordung von Tieren, die als Nutz- und Schlachttiere
definiert werden, mit dem Holocaust antisemitisch ist, sondern
beschäftige mich mit Reaktionen auf die Kritik an diesen Gleichsetzungen
und dem dabei auftretenden Antisemitismus. Auch hier lassen sich
Klischees und Strategien ausmachen, die zu den charakteristischen
Feldern des Antisemitismus zählen.
- Vorwurf des Profitierens vom Holocaust
Ein zahlreich gebrauchtes antisemitisches Klischee ist der Vorwurf,
JüdInnen würden den Holocaust benutzen um finanziell
oder moralisch davon zu profitieren.
So wird beispielsweise in einem Leserbrief über eine Journalistin,
welche die Holocaustgleichsetzungen kritisiert hat, geschrieben:
„daß Frau Hanika ein kleines Rädchen in jener
Gruppierung ist, die Norman Finkelstein als Holocaust-Industrie
bezeichnet hat, und die, finanzielle Interessen im Auge, um ihr
Leidensmonopol kämpft und darum allergisch und unnachsichtlich
auf jeden Versuch reagiert, die vermeintliche Einzigartigkeit und
Einmaligkeit des Holocausts in Frage zu stellen; mag es auch seither
Völkermorde zu Hauf gegeben haben.“ Die Bezugnahme auf Norman Finkelsteins Buch „Die Holocaust-Industrie“ findet
sich häufig. Die Strategie, einen jüdischen Autor zusammenhanglos
zu zitieren um damit antisemitische Äußerungen zu untermauern,
ist eine viel verwendete antisemitische Taktik.
In einem anderen
Text, der sich mit den Holocaustgleichsetzungen und der Empörung darüber
auseinandersetzt, wird folgende Frage formuliert:
„[…] ob das Bestehen auf der Einzigartigkeit des Begriffs
Holocaust in der Einmaligkeit dieses Mordens begründet und
Ausdruck tiefen schmerzvollen Empfindens ist oder bloß geschäftliches
Kalkül, quasi Handelsmarke, deren ausschließlicher Besitz
gewährleiste, aus dem Leid näherer oder fernerer Verwandter
auch noch nach sechzig Jahren Gewinn zu ziehen und israelische
Kolonisation zu rechtfertigen“ Auch dieses rhetorische Mittel der Frage (anstatt einer Behauptung)
ist eine charakteristische Methode um sich antisemitisch zu äußern
und gleichzeitig das Gegenteil behaupten zu können.
- Angeblich großer Einfluss von JüdInnen
Die Kritik an den Holocaustgleichsetzungen wird oft dem angeblich
großen Einfluss von JüdInnen auf die Medien zugeschrieben.
Es wird suggeriert, JüdInnen verfügten über große
Macht, die sie missbrauchen. Diese Unterstellungen begeben sich
in die Nähe zu dem traditionellen antisemitischen Klischee
von der jüdischen Weltverschwörung.
- Umgang mit dem
Holocaust
Die Holocaustgleichsetzungen können nicht isoliert vom politischen
und gesellschaftlichen Umfeld, in dem sie gemacht werden, betrachtet
werden. Entgegen der Behauptung, dass kein Zweifel über das
Verbrechen des Holocaust besteht und dass das Wissen darüber
weit verbreitet ist, ist zu sagen, dass es enorme Defizite gibt
was zum Beispiel die Auseinandersetzung mit österreichischen
TäterInnen, der Entnazifizierung und Strafverfolgung von NS-TäterInnen
oder der Gedenkkultur betrifft. In diesem Kontext hat die Gleichsetzung
der industriellen Ermordung von Tieren mit dem Holocaust (abgesehen
von ihrer faktischen Unrichtigkeit) Anteil daran, dass der Holocaust
relativiert und verharmlost wird. Die Verwendung von Begriffen
wie „Tier-KZ“ oder „Holocaust am Teller“ trägt
zum vorhandenen sekundären Antisemitismus bei.
RESÜMEE
In der Tierschutz- und Tierrechtsbewegung sind, besonders in Zusammenhang
mit der Forderung eines Schächtverbots und als Reaktion auf
die Kritik an den Holocaustgleichsetzungen, zahlreiche antisemitische Äußerungen
zu beobachten. Diese sind auffallend oft nicht indirekte Anspielungen
oder dergleichen, sondern häufig offen und direkt antisemitisch
und benutzen meist schon lang existierende antisemitische Stereotype.
Wenn die Tierrechtsbewegung ihrem Anspruch einer emanzipatorischen
Bewegung gerecht werden will, muss sie sich mit dem Problem des
Antisemitismus in Tierschutz- und Tierrechtszusammenhängen
auseinandersetzen. Dazu sind Selbstreflexion und der Mut und die
Fähigkeit zur (Selbst)Kritik ebenso notwendig wie Wissen über
antisemitische Inhalte und Strategien. Ich hoffe, mein Vortrag
hat diesbezüglich einen Beitrag leisten können.
1 Zum Thema Antisemitismus allgemein siehe beispielsweise:
Claussen, Detlev: Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche
Genese des modernen Antisemitismus. Frankfurt/Main: Fischer 1994
oder
Pauley, Bruce: Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus.
Von der Ausgrenzung zur Auslöschung. Wien: Kremayr&Scheriau
1993.
2 Siehe zum Beispiel: Pelinka, Anton / Wodak, Ruth
(Hg): “Dreck
am Stecken”. Politik der Ausgrenzung. Wien: Czernin 2002.
3 Gruber, Helmut: Antisemitismus im Mediendiskurs.
Die Affäre „Waldheim“ in
der Tagespresse. Wiesbaden: Deutscher Universitätsverlag 1991.
4 Ich habe keine Personen und Gruppen namentlich erwähnt,
weil es die Policy des Tierrechtskongresses ist, nicht einzelne
Personen oder Organisationen anzugreifen.
Außerdem hätte es die Nennung von Einzelnen leicht gemacht, Antisemitismus
als das Problem von einigen wenigen von sich selbst weg zuschieben – genau
das Gegenteil ist aber die Intention meines Vortrages.
5 Ob die Forderung nach Schlachten mit vorhergehender Betäubung
etwas mit Tierschutz zu tun hat, da sie ja die Interessen von Tieren
grundlegend missachtet, wäre eine eigene Diskussion.
6 Zitiert nach: Hornshoj-Moller, Stig: “Der ewige Jude”.
Quellenkritische Analyse eines antisemitischen Propagandafilms.
Begleitpublikation zur Filmedition G 171 „Der ewige Jude“.
Göttingen: Institut für den wissenschaftlichen Film 1995,
S.169, 171, 176-178.
7 Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus.
Berlin / New York: deGruyter 1998, S. 584-587.
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