Grenzen der Tierschutz- bzw. Tierrechtsarbeit mit
Beispielen aus dem Tierversuchsbereich
Romana Rathmanner
Im folgenden wird der Frage nach den Grenzen der Tierschutz- bzw.
Tierrechtsarbeit nachgegangen und an drei konkreten Beispielen aus
dem Tierversuchsbereich abgehandelt, nämlich anhand
a) der Haltung und Unterbringung von Versuchstieren,
b) des Verbotes des LD-50-Tests und
c) des Verbotes von Versuchen an Menschenaffen.
Auf dieses Thema bin ich gestoßen, nachdem ich in einer Aussendung
der „tierbefreier e.V. folgende Selbstbeschreibung gelesen
habe, die mich nicht mehr losgelassen hat:
„Als Tierrechtler und Tierrechtlerinnen engagieren sich
die „tierbefreier e.V.“ für die Totalabschaffung
aller Tierversuche. Deshalb setzen sie sich nicht für eine
„verbesserte Haltung“ oder „humanere Foltermethoden“
der Tiere ein, sondern fordern das, was ihnen zusteht: die Freiheit!“
Dieses Statement hat mir imponiert und bei mir eine Menge von
Fragen ausgelöst, die ich hier einfach in den Raum –
als Grundlage zur Reflexion und Diskussion - stellen möchte.
Denn einerseits bin ich ebenso für die Totalabschaffung aller
Tierversuche und für die Freiheit aller Tiere, aber andererseits
habe ich mich sehr wohl zum Beispiel auch für die gesetzliche
Verankerung von Richtlinien für die Haltung von Versuchstieren
eingesetzt.
Habe ich mich damit – in Anlehnung an das Statement der
„tierbefreier“ - zur Handlangerin des Tierausbeutungssystems
gemacht?
Ad a) Erst im Jahre 2000 wurde auf jahrelangen Druck von uns TierversuchsgegnerInnen
die Haltung von Versuchstieren gesetzlich geregelt, wogegen sich
die tierversuchsgestützte Forschung, Medizin und Industrie
vehement wehrte, weil sie sich natürlich jeglicher Kontrolle
entziehen möchten.
Diese Versuchstierhaltungsverordnung ist voller Mängel und
Schwächen und kann den Lebensbedürfnissen keines Tieres
gerecht werden. Sollen wir es dabei belassen oder uns für eine
Novellierung – also für sog. verbesserte Haltungsbedingungen
- stark machen? Wenn ich mich nun für eine verbesserte Haltung
von Versuchstieren einsetze, leiste ich damit noch einen Tierschutz-
bzw. Tierrechtsbeitrag oder helfe ich nur mit, das Tierausbeutungssystem
zu zementieren? Wo ist die Grenze zwischen Tierrechtsarbeit und
Handlangerverhalten? Nach welchen Kriterien ziehe ich diese Grenze?
Sind diese Kriterien objektivierbar oder treffen wir diese Entscheidungen
nur individuell aus dem Bauch heraus?
Oder kommt es auf das w i e der Umsetzung an? Ist es ein Unterschied,
ob ich beim Bemühen um verbesserte Haltungsbedingungen gesetzliche
Regelungen, die ein Kontrollinstrument darstellen und darüber
hinaus für alle Tiere gelten, anstrebe, oder ob ich mit privaten
Tierschutzspenden größere Tierkäfige für einige
wenige Tiere sponsere oder ob ich illegal dann und wann einzelne
Versuchstiere befreie?
Ad b) Nun komme ich zum zweiten Beispiel, der Forderung nach einer
Abschaffung des LD-50-Tests, für die wir TierversuchsgegnerInnen
uns jahrelang eingesetzt haben. Der LD-50-Test ist ein sehr belastender
Giftigkeitstest, bei dem die Höhe der Dosis ermittelt wird,
bei der die Hälfte der Versuchstiere stirbt. Dieser Test wurde
schließlich in Österreich – mit Ausnahmen –
per Verordnung verboten. Nun wird jedoch auf andere Toxizitätstests
ausgewichen, die vielleicht nicht so belastend für die Versuchstiere
sind, aber für alle Tiere schlussendlich ebenfalls tödlich
enden.
Auch wenn wir uns in diesem Fall nicht bewusst und zielgerichtet
im Sinne des Statetments der „tierbefreier“ für
eine“humanere Foltermethode“ engagiert haben, so wird
als Folge des Verbotes des LD-50-Tests - ganz nüchtern betrachtet
– tatsächlich nur eine humanere Foltermethode eingesetzt,
weil es ja lediglich zu einer Verlagerung von einem extrem belastenden
Giftigkeitstest zu einem weniger extrem belastenden Giftigkeitstest
in der Praxis kommt. Und derartige Entwicklungen sind vorhersehbar:
Auch im Falle des Verbotes von Versuchen an Menschenaffen ist realistischerweise
anzunehmen, dass es durch ein Verbot nicht zu einem Wegfall gewisser
Tierversuche und Tests kommt, sondern dass ebenfalls lediglich eine
Verschiebung die Folge sein wird: Bestimmte Tests werden dann nicht
mehr an Schimpansen, sondern etwa an Makaken durchgeführt.
Diese Tendenz bestätigt auch die offizielle Tierversuchsstatistik:
Trotz angeblichen vermehrten Einsatz von sogenannten Alternativmethoden
ist mit Ausnahme des Vorjahres in den letzten Jahren die Zahl der
Versuchstiere in alarmierender Weise angestiegen. Offenbar findet
die tierversuchsgestützte Industrie, Medizin und Forschung
immer einen Weg, um nicht von ihrer “Methode„ wegkommen
zu müssen.
Sollen wir uns nun nur bei solchen Themen engagieren, wo es aller
Voraussicht nach zu einer grundlegenden Veränderung der Situation
der Versuchstiere kommt? Ist die durch Teilverbote – wie eben
beim LD-50-Test - erreichte Signalwirkung nicht ebenso wichtig?
Ad c) Nun möchte ich zum letzten Beispiel, dem Verbot von
Experimenten an den Großen Menschenaffen (Bonobos, Gorillas,
Orang-Utans und Schimpansen) kommen, für dessen Durchsetzung
wir TierversuchsgegnerInnen uns engagieren. Deshalb haben wir jüngst
eine parlamentarische Bürgerinitiative gestartet und ein Verbot
rückt in greifbare Nähe. Im Petitionsausschuss haben die
Parlamentarier vereinbart, einen 4-Parteien-Antrag zu einem Verbot
auszuarbeiten.
Aber – warum konzentrieren wir uns so sehr auf ein Verbot
von Versuchen an den Großen Menschenaffen und nicht etwa an
Ratten?
Dies geschieht vorrangig aus strategischen und pragmatischen Gründen
in Abstimmung mit dem gesellschaftlichen und politischen Entwicklungsstand
und weil wir erfolgreich sein möchten. Ein Verbot von Versuchen
an Ratten hätte kaum Erfolg auf eine baldige Umsetzung. Aus
pragmatischen und strategischen Gründen bedienen wir uns nach
außen hin – gegenüber Medien, Politiker, der breiteren
Bevölkerungsschichte - wissenschaftlicher Argumentation, zitieren
die neuesten Erkenntnisse der Verhaltensforschung und weisen auf
die Menschenähnlichkeit der Affen hin.
Ist eine derartig pragmatische und strategische Vorgehensweise
noch ehrlich? Wann ist die Grenze des pragmatischen und strategischen
Verhaltens erreicht? Wann entfernen wir uns zu sehr vom Ziel weg
– von der Abschaffung aller Tierversuche? Wann muss die Grenze
des pragmatischen Verhaltens überschritten werden, um vorzupreschen
und den Weg für Zukünftiges zu ebnen? Die Forderung von
Menschenrechten für die Menschenaffen ist ein Beispiel hierfür.
Ab wann verlieren wir die große Utopie - das Recht und die
Freiheit für alle Tiere – aus den Augen? Wann beginnt
der Verrat an den Tieren?
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