Konstruktion von Rechtssubjekten - Tierstrafen und Tierprozesse
von Dipl-Krim. Michael Fischer
Vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit findet sich in verschiedenen
europäischen Ländern das Phänomen der formal rechtlichen
Behandlung von Tieren als Straftäter und Prozessparteien. Dabei
lassen sich zwei Grundformen unterscheiden: Tierstrafen richteten
sich gegen domestizierte »Nutztiere«. Sie wurden von
weltlichen Gerichten verhängt, hatten ihren Anlass typischerweise
in der Tötung eines Menschen durch das Tier und bestanden in
der Regel in der Todesstrafe. Tierprozesse verhandelten die Taten
von »wilden«, als »Schädlingen« auftretenden
Tieren. Sie fanden vor kirchlichen Gerichten statt, die darüber
befanden, ob Maßnahmen wie z.B. die Exkommunikation ergriffen
werden dürften und sollten, um die Schädlinge zu vertreiben.
In beiden Fällen waren die Verfahren offenbar ganz ernst gemeint
und vollzogen sich formal ganz wie solche gegen menschliche Angeklagte.
Intuitiv erscheint dies als Ausdruck einer »Personifizierung«
von Tieren und einer mittlerweile vermeintlich überwundenen,
geradezu grotesk anmutenden Irrationalität. Ein genauerer Blick
auf die Tierstrafen und -prozesse sowie, vergleichsweise, das moderne
System der tierschutzrechtlich geregelten industrialisierten Tierausbeutung
offenbart jedoch, dass die moderne Gesellschaft keineswegs eine
rationalere Konzeption des Status der Tiere entwickelt hat. Der
Widerspruch hat sich nur ins Gegenteil verkehrt: Während die
Kontrolle der Tiere in den Tierstrafen und -prozessen es erforderlich
machte, die Tiere als Rechtssubjekte zu konzipieren, obwohl sie
der zeitgenössischen Ansicht zufolge moralisch-rechtliche Objekte
waren, bedingt die gewaltsame Kontrolle der machtlosen Nutztiere
der Moderne die Negation des Status der Tiere als Rechtssubjekte,
der ihnen der Logik der Moral und des Rechts zufolge tatsächlich
zukommt.
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